Airlineschienen & Zubehör für die Rollstuhlsicherung in Kraftfahrzeugen
Menschen mit Behinderungen sicher befördern – Der große Ratgeber
Die sichere Beförderung von Menschen mit Behinderung ist nicht nur eine Frage der Technik, sondern auch der Verantwortung. Ob privat durch Angehörige oder professionell durch Fahrdienste: Der Transport muss sowohl komfortabel als auch sicher erfolgen. Dafür braucht es die richtige Ausstattung, fundiertes Hintergrundwissen und das Einhalten gesetzlicher Vorschriften.
In diesem Ratgeber erfährst du alles, was wichtig ist – von rechtlichen Grundlagen, über den Umbau geeigneter Fahrzeuge, bis hin zu praktischen Tipps für die tägliche Nutzung.

1. Wer darf Menschen mit Behinderungen transportieren?
Private Beförderung
Wenn Familienmitglieder oder Freunde eine Person mit Behinderung transportieren, gelten die üblichen Regeln der Straßenverkehrsordnung (StVO) sowie die Vorschriften zur Ladungssicherung. Ein spezieller Personenbeförderungsschein ist hier nicht erforderlich.
Besondere Aufmerksamkeit gilt der Sicherung des Rollstuhls:
- Ein zusammengeklappter Rollstuhl muss im Kofferraum oder an anderer geeigneter Stelle fest fixiert sein.
- Wenn die Person im Rollstuhl sitzen bleiben muss, muss der Rollstuhl selbst wie ein Fahrzeugsitz behandelt werden – inklusive Sicherung über Kraftknoten und Gurtsysteme.
Seit den gesetzlichen Änderungen von 2016 ist klar geregelt, dass:
- der Rollstuhl an Kraftknoten befestigt sein muss,
- ein Vier-Punkt-Gurtsystem Pflicht ist, wenn der Rollstuhl als Sitz dient.
Gewerbliche Beförderung
Wer im Auftrag – etwa als Taxi- oder Fahrdienstleister – Menschen mit Behinderung transportiert, benötigt einen Personenbeförderungsschein (P-Schein).
- Gültigkeit: 5 Jahre
- Kosten: ca. 300 €
- Voraussetzungen: gesundheitliche Eignung, psychische Belastbarkeit, Mindestalter 21 Jahre, Führerschein Klasse B seit mindestens 2 Jahren.
Auch das Unternehmen trägt Verantwortung: Fahrzeuge müssen den technischen Anforderungen entsprechen und Fahrer müssen im sicheren Umgang mit den Systemen geschult sein.
2. Welche Fahrzeuge eignen sich?
Nicht jedes Fahrzeug ist automatisch für den sicheren Transport von Rollstuhlfahrern geeignet. Wichtig sind ausreichend Platz, flexible Umbaumöglichkeiten und die Möglichkeit, Sicherheitssysteme zu installieren.

Beliebte Modelle
- VW Caddy
- Mercedes Vito
- Citroën Berlingo
- Renault Kangoo
Diese Fahrzeuge bieten:
- genug Innenhöhe für aufrechte Sitzpositionen im Rollstuhl,
- Platz für Airlineschienen und Gurtsysteme,
- Komfort für längere Fahrten.
Zugangslösungen
- Rampen: klappbar, schnell einsetzbar, aber für sehr schwere Elektrorollstühle oft unpraktisch.
- Heckausschnitt: Umbauvariante mit abgesenktem Boden, die für mehr Höhe sorgt.
- Liftsysteme: bequem, aber kostenintensiv, besonders sinnvoll bei schweren Rollstühlen.
Innenraumgestaltung
- Ein geräumiger Innenraum ist essenziell, damit Rollstuhlfahrer nicht eingeengt sind.
- Airlineschienen im Boden ermöglichen flexible Befestigungen.
- Sitze können variabel angeordnet oder ausgebaut werden, um Platz für den Rollstuhl zu schaffen.
3. Zuschüsse & Fördermöglichkeiten
Die Anschaffung oder der Umbau eines Fahrzeugs kann schnell mehrere tausend Euro kosten. Umso wichtiger sind die Fördermöglichkeiten, die in Deutschland vorgesehen sind.
Kostenträger
- Renten- und Unfallversicherung
- Krankenkassen
- Agentur für Arbeit (z. B. bei Ausbildungs- oder Arbeitswegen)
Förderfähige Kosten
- Kauf des Fahrzeugs
- Umbaukosten (z. B. Rampen, Lifte, Heckausschnitt, Airlineschienen)
- Zusatzausstattungen
- Führerscheinerwerb
Voraussetzungen
- Der Pkw muss auf die Person mit Behinderung zugelassen sein.
- Das Fahrzeug wird benötigt, um Arbeit, Studium oder Ausbildung wahrzunehmen.
- Es handelt sich nicht um eine vorübergehende Einschränkung.
- Der Grad der Behinderung liegt bei 100 %.
Beispiel: Der Umbau eines Fahrzeugs kann mit bis zu 9.500 € gefördert werden – weitere Umbauten fallen zusätzlich unter die Förderung.
Wichtig: Anträge müssen vor dem Kaufvertrag gestellt werden.
4. Technische Anforderungen für die sichere Rollstuhlsicherung

Die technische Ausstattung bildet das Fundament für die sichere Beförderung.
Airlineschienen
- Nach DIN 75078-2 vorgeschrieben.
- Versenkbar und damit alltagstauglich, Stolperfallen werden vermieden.
- Auch für schwere Elektrorollstühle geeignet.
Fittings
- Verbindung zwischen Airlineschienen und Retraktoren.
- Triple Stud Fittings gelten als besonders stabil und flexibel.
Kraftknoten
- Verteilen Kräfte bei Bremsungen und Unfällen gleichmäßig.
- Verhindern, dass Gurte direkt auf den Körper drücken.
- Pflicht nach DIN 75078-2.
Gurtsysteme
- Vier-Punkt-System: höchste Sicherheit, Pflicht bei Rollstuhltransporten.
- Ergänzt durch Beckengurt und fahrzeugseitigen Schultergurt.
Zubehör
- Abdeckprofile: sorgen für saubere Oberflächen, verhindern Schmutzansammlungen.
- Endkappen: minimieren Verletzungsrisiken an den Schienenenden.
5. Anforderungen an den Rollstuhl
Nicht jeder Rollstuhl darf im Fahrzeug genutzt werden.
- Rollstühle müssen nach DIN ISO 7176-19 / ISO 10542 geprüft und mit einem entsprechenden Label gekennzeichnet sein.
- Seit 2010 ist ein nachträglicher Umbau nicht mehr erlaubt.
- Elektrorollstühle über 25 kg benötigen seit 2018 HEAVY DUTY Retraktoren.
6. Rechtliche Grundlagen & Normen im Überblick
Die rechtlichen Anforderungen sind detailliert geregelt.
Wichtige Vorschriften
- StVO §21a: regelt die Sicherungspflicht im Straßenverkehr, Verstöße führen zu Bußgeldern.
- DIN 75078: beschreibt die technischen Anforderungen an Rollstuhlrückhaltesysteme.
- ISO 10542: internationale Norm für Rückhaltesysteme.
- DIN 13249: beschreibt Anforderungen an Fahrzeuge für den Rollstuhltransport.
- ISO/DIS 16840-4 & ISO 16840-3: regeln Sitzsysteme, Belastbarkeit und Crashsicherheit.
Neuere Entwicklungen
- Seit 2017 gelten spezielle Anforderungen an Rampen.
- Seit 2018 müssen Rückhaltesysteme Belastungen bis zu 24,5 kN vorwärts aushalten.
7. Qualifikation und Schulung der Fahrer
Der sicherste Umbau nützt wenig, wenn Fahrer nicht ausreichend geschult sind.
Anforderungen an gewerbliche Fahrer
- Mindestalter: 21 Jahre
- Führerschein Klasse B seit mindestens 2 Jahren
- gesundheitliche und psychische Eignung
- P-Schein mit regelmäßiger Verlängerung
Schulungsthemen
- Handhabung der Airlineschienen und Gurtsysteme
- ergonomisches Arbeiten mit schweren Rollstühlen
- Kommunikation mit Fahrgästen
- Unfallprävention durch Fahrsicherheitstrainings
8. Praktische Tipps für Angehörige und Fahrdienste
- Checkliste vor der Fahrt: Sind alle Gurte gespannt, alle Fittings verriegelt, der Akku des Elektrorollstuhls abgeschaltet?
- Komfort prüfen: Falsche Gurtführung kann zu Druckstellen führen – Fahrgast fragen, ob die Sicherung angenehm sitzt.
- Regelmäßige Wartung: Schienen, Gurte und Fittings sollten regelmäßig geprüft werden.
- Fahrweise anpassen: vorausschauend fahren, ruckartige Manöver vermeiden.
- Kommunikation: Besonders wichtig, wenn der Fahrgast Einschränkungen im Sprachvermögen hat – Gesten, Blickkontakt und klare Abläufe helfen.
9. Internationale Unterschiede
Auch wenn sich viele Normen an europäischen Richtlinien orientieren, gibt es Unterschiede:
- In den USA ist die ADA (Americans with Disabilities Act) maßgeblich, die sehr detaillierte Vorgaben für den barrierefreien Transport enthält.
- In Großbritannien regelt der Equality Act den Zugang zu Mobilität.
- In Deutschland liegt der Fokus stärker auf DIN- und ISO-Normen.
Ein internationaler Vergleich zeigt: Während technische Vorgaben ähnlich sind, unterscheiden sich vor allem die Fördermöglichkeiten deutlich.
10. Historische Entwicklung der Vorschriften
Bis in die 1990er Jahre hinein gab es kaum einheitliche Regeln für den Transport von Rollstuhlfahrern. Viele improvisierte Lösungen führten zu Sicherheitsrisiken. Erst mit der Einführung der DIN 75078 Ende der 1990er wurde ein verlässlicher Standard geschaffen. Seitdem wurden die Anforderungen kontinuierlich verschärft – zuletzt 2016 bis 2018 mit neuen Vorgaben zu Gurtsystemen, Rampen und HEAVY DUTY Retraktoren.
11. Fazit
Die Beförderung von Menschen mit Behinderungen erfordert eine Kombination aus:
- der richtigen Fahrzeugwahl,
- professioneller technischer Ausstattung,
- geschultem Personal und
- dem Bewusstsein, dass Sicherheit oberste Priorität hat.
Zuschüsse und Förderungen erleichtern die Umsetzung, während Normen und Gesetze klare Leitlinien geben. Ob privat oder gewerblich – wer die Vorgaben einhält, schafft die Grundlage für einen sicheren, komfortablen und würdevollen Transport.
Am Ende geht es nicht nur um Technik, sondern auch um Teilhabe: Menschen mit Behinderung sollen ohne Barrieren am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können – und der sichere Transport ist dafür eine wesentliche Voraussetzung.